Merseburger Orgeltage

Bach - Anfang und Ende aller Musik

09

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Sep

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2023

20:00

Uhr

Merseburger Dom
Tickets & Infos
Programm

Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Suite h-Moll für Orchester (1738/39, Cafe Zimmermann) BWV 1067
für Traversflöte, Streicher und Basso continuo

"Christ lag in Todesbanden" BWV 4
Kantate für 4 Stimmen, Streicher und Bc

Die Kunst der Fuge BWV1080
Contrapunctus I

"Wer nur den lieben Gott lässt walte"n BWV 93
Kantate zum 5. Sonntag nach Trinitatis
für 4 Stimmen, 2 Oboen, Streicher und Basso continuo

Die Kunst der Fuge
Contrapunctus 14 (unvollständig)

"Choral Vor deinen Thron tret ich hiermit"
In einer Fassung für Orgel

Ausführende

Veronika Winter
Davir Erler
Hans Jörg Mammel
Matthias Vieweg
Rheinischen Kantorei
Das Kleine Konzert
Hermann Max, Leitung

Bevor Bach 1723 in der Mitte seines Lebens als Nachfolger Kuhnaus Thomaskantor wird, scheitern Georg Philipp Telemann wie Christoph Graupner und anschließend Joh. Friedrich Fasch, Georg Lencke, Joh. Christian Rolle, Georg Balthasar Schott und Joh. Martin Steinhoff mit ihren Bewerbungen. Telemann ist wegen seiner Music, in der Welt bekannt, und deshalb Wunschkandidat des Rates, zieht aber seine Bewerbung trickreich zurück und bekommt so in Hamburg eine satte Gehaltserhöhung.    
Warum scheint Bach eine „Notlösung“ für Rat zu sein? Sind Bachs Kantaten zufortschrittlich, zu kunstvoll und zu ausgefallen als Stoff für die Thomasschule? Ist sein Lebenswandel fragwürdig? Immerhin legt er ein Verhalten an den Tag, das sich herumspricht. Er gilt als selbstbewusst, streitbar, verlangt sein Recht, neigt zu ungebremstem Jähzorn und ist offenbar durchsetzungsfähig. Das beweist er schon als Zehnjähriger durch nächtliches Abschreiben von hinter Schloss und Riegel aufbewahrten Noten bei seinem Bruder, in dessen Familie er nach dem Tod des Vaters lebt. Für starkes Selbstbewusstsein spricht eine um gut vier Monate überzogene Reise zu Buxtehude, was ihm viel Ärger einbringt. In Arnstadt gibt es von Seiten der Behörden Beschwerden über sein eigenwilliges Orgelvorspiel, mit dem er die Gemeinde verwirre. Er gehe schon mal während der Predigt in den Weinkeller und habe sich trotz Verbots mit einer Frau auf der Orgelempore aufgehalten. Weggesteckt hat er das offenbar ebenso wie eine vierwöchige Karzer-Inhaftierung in Weimar, weil er hartnäckig seine Entlassung aus den Diensten Herzog Wilhelm Ernsts fordert. Im Zorn zieht er schon mal den Degen, um seine zu recht erfolgte Beleidigung eines Zippelfagottisten zu verteidigen. Diese Charakterskizzen lassen ihn bis zu seinem Wechsel nach Leipzig Werke schreiben,die in ihrer Zeit unvergleichbar modern und nicht gerade eine Visitenkarte fürdas altehrwürdige Leipziger Amt sind. So ist seine wohl erste Kirchenkantate Christ lag in Todesbanden – ein perfekter „Anfang“. Als er 1723 nach Leipzig wechselt ist für ihn neu, in erster Linie Schulmusiker zu sein. Doch im weltoffenen Leipzig kann er wie in seinen höfischen Anstellungen aus dem Vollen schöpfen. Konzerte, Oratorien, Kammermusik wie seine Ouverturen-Suite in h-Moll entstehen und allerlei Humorvolles für das Cafe Zimmermann, den VergnügungstempelSachsens.

Als das „Ende“ seiner schöpferischen Tätigkeit kann sein Contrapunctus14 aus der Kunst der Fuge betrachtet werden. Deren harmonische Entwicklungen sind so kompliziert, dass das Stück unvermutet abbricht als stecke es in einer „Sackgasse“. Wissenschaftliche Erklärungsversuche dazu sind seit 200 Jahren zahllos, spekulativ und ergebnislos. Reichten Bachs kontrapunktische Fähigkeiten nicht aus, um die selbstgestellte Kompositionsaufgabe mit drei oder gar vier Themen und weiteren Kontrapunkt-Kunststücken zu lösen? Wir wissen es nicht.  Paul Hindemith versucht 1950, mit Dürers Kupferstich Melancholia auf die Grenzen von Bachs Können hinzuweisen: Wie bei Dürer die personifizierte Wissenschaft melancholisch in weite Fernen blickt und ihre „Grenzen“ erkennt, so kann es Bach beim Abbruch seines Contrapunctus 14 ergangen sein…

Seine Kantate Wernur den lieben Gott lässt walten und seine Ouverturen-Suite in h-Moll gehören zu jenen Werken, die dieKomponisten-Generationen vor und nach 1900 so heftig begeistern, dass sie dem Wunschnachkommen, bestimmte Werke durch Bearbeitung wie zeitgenössische wirken zulassen. Begonnen hatte diese Neigung mit Fanny und Felix Mendelssohn. Die Schwester ihrer Großmutter, Lea Itzig, hatte Vieles über Bach und seine Werke durch ihre Lehrer Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel Bach erfahren. Erzählungen dazu begeistern das Ehepaar Schumann, später Brahms, Joseph Joachim und nicht zuletzt Max Reger. Sie alle möchten mit ihren Bearbeitungen Bachs Größe auf ihre Weise zeigen.